Summary: Sie transportieren uns jeden Tag durch die Stadt, aber kaum jemand die Geschichte der Berliner U-Bahnen. Die ältesten Züge sind seit 60 Jahren im Betrieb – und alle warten auf den Neubau.

Von DDR-Relikten und Notlösungen: Wie Berlin zu seinen sechs U-Bahnmodellen kam

Source: Jörn Hasselmann - 1946-01-01T04:59:59.999Z

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Berlin hat die größte und die älteste U-Bahn in Deutschland. Auf 155 Kilometer Strecke mit 175 Bahnhöfen fahren neun Linien. Dabei gibt es sogar zwei U-Bahn-Netze in Berlin. In unserer Serie geben wir einen Überblick über die Modellreihen von Bus, S-Bahn und U-Bahn, die aktuell im Netz des öffentlichen Nahverkehrs unterwegs sind.

Die beiden U-Bahn-Netze in Berlin bestehen aus dem Kleinprofil (Linien 1-4) und das Großprofil (Linien 5-9) – erkennbar daran, dass die Waggons in den Linien 5 bis 9 breiter sind als die übrigen. Der Unterschied ist historisch bedingt, die ersten Tunnel in der Innenstadt waren kleiner. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Tunnel und damit die Waggons größer.

Der Plan, die alten Tunnel zu vergrößern, damit ein einheitliches Netz entsteht, scheiterte an den Kosten. Deshalb ist die Typenvielfalt größer, es gibt derzeit vier Modelle für das Kleinprofil und zwei für das Großprofil. Langfristig soll die Flotte durch die Neubaureihe J/JK vereinheitlicht werden.

1 Baureihe A3

Im Kleinprofil ist der A3 der Senior. Der Typ wurde seit den 60er-Jahren für das West-Berliner Netz gebaut. Die ersten Züge stammen aus den 60er-Jahren, jeweils Anfang der 70er-, 80er- und 90er-Jahre wurden weitere Serien abgeliefert. Einige Züge wurden vor etwa 20 Jahren grundlegend modernisiert. Für den Laien ist nicht zu erkennen, dass die Basis der ältesten Waggons aus den Jahren 1964 und 1966 stammt.

Ein Fahrzeug der Baureihe A3L auf der Linie U4 in Schöneberg.

Ein Fahrzeug der Baureihe A3L auf der Linie U4 in Schöneberg.

© Jörn Hasselmann

Ein Kleinprofil-Fahrzeug erkennen Fahrgäste daran, dass es nur Sitze in Längsrichtung gibt. Die klassische Abteilanordnung mit jeweils zwei Sitzen gegenüber passt nur ins Großprofil. Der Innenraum ist dort etwa 30 Zentimeter breiter. Von außen ist die A3-Baureihe leicht an der rundlichen Front mit drei Fenstern zu erkennen.


2 Baureihe G „Gisela“

Die Züge der Baureihe G sind die einzigen, die einen Spitznamen haben: Gisela stammt aus dem Osten. Die DDR bemerkte in den 70er-Jahren, dass die Lebensdauer der Vorkriegszüge endlich ist. Denn „Vorkrieg“ meint in diesem Fall den Ersten Weltkrieg. Anfang der 70er-Jahre fuhren auf der heutigen U2 nach Pankow Wagen, die 70 Jahre alt waren.

Die Baureihe „G“ ist das einzige in der DDR konstruierte Fahrzeug für das Kleinprofilnetz, die Züge kamen 14 Jahre später als die A3-Reihe für West-Berlin. Das Design ist ganz anders: kantig, eine riesige Frontscheibe, die Seiten in Wellblech. Der Fachmann nennt diese Seitenwände „gesickt“. Äußerlich, und auch vom Fahrgeräusch her ist Gisela einmalig.

Eine Gisela am Gleisdreieck (U3).

Eine Gisela am Gleisdreieck (U3).

© Jörn Hasselmann

Aus dem Inneren ist die DDR seit der Wende verschwunden, Sitze und Haltestangen sind neu. Wegen der Störanfälligkeit verkauften die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) nach der Wende viele Züge nach Nordkorea, für die Metro Pjöngjang. Dass Gisela in Berlin überhaupt noch lebt, liegt an der viele Jahre verspäteten Bestellung von Nachfolgemodellen.

Für das Großprofil hatte die DDR übrigens auf einen Neubau verzichtet, stattdessen wurden (überzählige) S-Bahn-Wagen umgebaut und umlackiert. Das war die Baureihe E, die letzten Exemplare wurden vor genau 30 Jahren ausgemustert.


3 Baureihe F

Die Baureihe F ist immer noch die tragende Säule im Großprofil. Zwischen 1973 und 1994 wurden 257 Doppeltriebwagen in sieben Serien ausgeliefert. Die einzelnen Serien unterscheiden sich stark in Aussehen und Technik. Eine Lieferung wurde bereits komplett in den Schrott gefahren.

Die Serie F79 (die „79“ steht für das Baujahr 1979) bestand erstmals aus Aluminium. Die Risse, die vor einigen Jahren auftraten, ließen sich nicht schweißen. Als die damalige Wirtschaftssenatorin Ramona Pop sich von der BVG das neue Desaster in einer Werkstatt zeigen ließ, sagte sie ernüchtert: „Wir merken, dass 20 Jahre nichts investiert wurde in neue Züge.“

Ein F84 im Bahnhof Tempelhof auf der U6

Ein F84 im Bahnhof Tempelhof auf der U6

© Jörn Hasselmann

Die Wirtschaftssenatoren zuvor hatten das Problem der alternden Flotte schlicht ignoriert. Mittlerweile steht ein Zug im Deutschen Technikmuseum in Kreuzberg. Zum Glück waren die anderen Lieferungen aus Stahl, und sie müssen noch lange halten. Äußerlich ähneln die Züge denen der Baureihe A3, die Front freundlich abgerundet, drei Fenster vorne.


4 Baureihe H/HK

Mit den H-Zügen begann 1995 eine neue Ära: Erstmals hatten die Ingenieure einen Typ parallel für beide Profile entworfen. Dies verringerte den Aufwand bei der Konstruktion und die Wartung in den Werkstätten. Und: Um das Sicherheitsgefühl für die Fahrgäste zu heben, sind die Züge durchgehend begehbar.

Der H-Zug besteht aus sechs durchgehenden Wagen, dieser ist weder erweiterbar noch teilbar. Die HK-Züge für das Kleinprofil (dafür das angehängte „K“) bestehen aus vier Wagen. Auf den Linien U1 und U2 fahren sie meist in Doppeltraktion, also mit acht Wagen.

Ein HK-Zug auf der U2 am Gleisdreieck.

Ein HK-Zug auf der U2 am Gleisdreieck.

© Jörn Hasselmann

Die HK-Züge kamen einige Jahre später und fielen zunächst durch massive technische Probleme auf. Letztlich wurden sie erst ab 2007 geliefert, also zehn Jahre zu spät – ein Desaster für die BVG, wie der Tagesspiegel damals schrieb. Äußerlich ähneln sich die Züge, viel Glas an der Front und die schrägen Leuchten fallen auf.


5 Baureihe IK

Diese Baureihe ist in besonderer Weise einmalig. Denn sie wird im Klein- und im Großprofil eingesetzt. Eine typische Berliner Notlösung. Da es nicht gelang, neue Züge für das Großprofil zu bestellen, wurde der Mangel anders behoben: Die schmalen Züge für das Kleinprofil bekamen an den Seiten eine Schwelle angebaut, damit Fahrgäste mit dem Fuß nicht zwischen Zug und Bahnsteigkante stolpern.

„Icke“: ein IK in Onkel Toms Hütte im Kleinprofil auf der U3.

„Icke“: ein IK in Onkel Toms Hütte im Kleinprofil auf der U3.

© Jörn Hasselmann

Ein IK mit „Blumenbrettern“ im Großprofil auf der U5.

Ein IK mit „Blumenbrettern“ im Großprofil auf der U5.

© Jörn Hasselmann

So sind die Züge heute auf der U5 unterwegs. Eine ähnliche Notlösung gab es in den 20er-Jahren und dann nach 1945 in Ost-Berlin, das hat also Tradition. Die BVG spricht von einer „Spaltüberbrückung“, ältere Berliner lieber von „Blumenbrettern“. Die BVG mühte sich am Anfang, einen Spitznamen für die Züge zu finden. Heraus kam „Icke“, die Bezeichnung ging aber nicht in den Volksmund über.


6 Baureihe J/JK

Von der Zukunft gibt es erst einen Prototyp. Mit Theaternebel, flackerndem Licht und dem Regierenden Bürgermeister als Fahrgast hatte die BVG den ersten Kleinprofilzug in diesem Januar vorgestellt. Die neuen Züge vom Typ „J/JK“ sollen den überalterten Fuhrpark in den kommenden Jahren ersetzen.

Ab Sommer dieses Jahres sind die ersten testweisen Einsätze mit Fahrgästen geplant. Die werden den Hauptunterschied bemerken. Denn sie sind gefühlt deutlich größer geworden. Das hat zwei Gründe: Die Seitenwände sind in Bauchhöhe ausgebeult (der Fachmann sagt „bombiert“). Zudem sind alle Monitore der Fahrgastinformation längs in den Wänden eingebaut. Bislang versperren sie quer über den Gängen verbaut optisch den Durchblick und verringern so das Raumgefühl.

Ob die BVG wieder eine Suche nach einem Spitznamen starten wird, ist nach der Icke-Erfahrung zweifelhaft.

Die erste U-Bahn der neuen Reihe „JK“.

Die erste U-Bahn der neuen Reihe „JK“.

© Jörn Hasselmann

Zunächst werden 24 Testfahrzeuge geliefert, zwölf für das Klein- und ab Sommer auch zwölf für das Großprofil. Unmittelbar nach den Tests soll die Serienlieferung beginnen, hofft die BVG. Es ist der Anfang des größten Auftrags, den die BVG jemals erteilt hat. Und für die Firma Stadler ist es der größte Auftrag, der jemals gewonnen wurde.

Bei dem Pankower Hersteller bestellt sind zunächst 376 Wagen als zwei- und vierteilige Fahrzeuge. Diese sind aufgeteilt in 140 Wagen für das Kleinprofil (36 zweiteilige und 17 vierteilige Fahrzeuge) sowie 236 Wagen für das Großprofil (52 zweiteilige Fahrzeuge und 33 vierteilige Fahrzeuge).

Die Zukunft dauert voraussichtlich 45 Jahre: 13 Jahre lang wird geliefert, vereinbart ist dann eine Ersatzteilgarantie für 32 Jahre. Irgendwann soll J/JK die einzige Baureihe der BVG sein. 1018 Wagen für zwei Milliarden Euro sieht der Verkehrsvertrag vor (756 für das Großprofil und 262 für das Kleinprofil). Wenn Berlin genügend Geld hat, könnten bis zum Jahr 2035 sogar 1500 Wagen geliefert werden.